Die Sonnenfinsternis

In meinem Leben habe ich sicher viel Grütze veranstaltet, aber mit meinem Kind zur totalen Sonnenfinsternis nach Mexiko zu fahrne, war, so finde ich, eine sehr richtige und schöne Sache. Die Unterkunft war bereits vor Wochen gebucht, die Hinfahrt organisiert (16 Stunden Bus von Mexiko City aus), T-Shirts bestellt und bekommen und sogar der Ort war gefunden, an dem wir uns aufbauen würden. Nun also geht es los. Der Tag ist wirklich und endlich gekommen.

Wenn man fast zwei Jahre auf ein Ereignis wartet und es vorbereitet, wirkt es ausgesprochen unwirklich, wenn dieses Ereignis endlich vor der Tür steht und reingelassen werden will. Aber alles läuft. Kamera und Stativ sind im Rucksack, Wasser und ein bißchen Proviant sind da und jetzt stehen wir vor der Tür und warten auf den UBER. Die sind in Mazatlán eher schwer zu bekommen und man wartet gern mal eine ganze Weile. Erschwerend kommt hinzu, daß wir recht weit außerhalb hausen. Doch egal. Der Mensch kommt und sammelt uns ein und fährt uns dann ca. eine halbe Stunde bis in die Stadt.

Die ist über und über voll mit Menschen und vor den interessanten Stellen abgesperrt. Wir fahren bis einen Kilometer vor Zielort (Parque Ciudades Hermanas) und gehen dann den Rest. Dort angekommen, erwartet uns eine ordentliche Menschenmenge, die sich auf den Platz und die nahegelegene Strandpromenade ausdehnt. Man hat geschätzt, daß ca. 2 Millionen Menschen für die Sonnenfinsternis anreisen würden. Ganze Menge!

Wir dagegen haben es gemütlich, denn wir stehen bei der Astronomischen Gesellschaft von Mazatlán mitten auf dem Platz, in einem Bereich, der später sogar noch mit Sperrband abgezäunt wird, hihihi. Um uns herum stehen lauter Teleskope und verzückte Menschen wie wir. Es herrscht aufgeregt glückliche Stimmung und weiter unten steht eine große Bühne, auf der ein Orchester Science Fiction-Musik spielt. Natürlich ist Star Wars dabei und E.T. und noch so anderes. Es werden Reden gehalten und Funk und Fernsehen sind ebenfalls zugegen. An anderer Stelle im Orte ist die NASA aufgelaufen und hält alles mit schwerem Gerät fest.

Dagegen ist unsere Spiegelreflexkamera natürlich nur Kleinvieh, aber das sieht hier keiner so. Ein Kollege vom Planetarium bei Mexiko City bastelt mir aus echter Nettigkeit einfach einen Sonnenfilter für die Kamera, da ich keinen habe. Ich bin sehr glücklich darüber und probiere ihn sofort aus. So kann ich auch Bilder von der teilverdeckten Sonne machen und alle damit erfreuen. Wir kucken alles und alle an und freuen uns einen Keks, hierzusein.

Und dann beginnt DER TEIL. Um 9.51 beginnt der Mond, sich vor die Sonne zu schieben. Zuerst merkt man es nicht, es sei denn man hat, wie wir und alle anderen hier, eine Schutzbrille, mit der man direkt ins Sonnenlicht sehen kann. Dann sieht man, daß dort am Rand eine winzige Ecke rausgebissen ist. Alle sind fein aufgeregt.

Nach und nach vergrößert sich dieser Haps und wir gehen von Teleskop zu teleskop und schauen es uns dort an. Viele sind natürlich innerhalb Mexikos angereist, doch es gibt auch Wahnsinnige wie uns, die aus Europa gekommen sind. So zum Beispiel Romain, der mit seinem Equipment tolle Nahaufnahmen der Sonne macht, auf denen man perfekt die Sonnenflecken und Protuberanzen (Sonneneruptionen von mehrfacher Größe der Erde) sehen kann. Auch ein paar Italiener sind hier. Durch die Luft fliegen allerhand Dronen, die Luftaufnahmen machen und später einmal rundumfilmen, wenn es aus jeder Himmelsrichtung dämmert. Es ist alles ganz wunderbar. Später werden sogar wir in LeMonde auftauchen.

People take selfies as they watch and photograph a total solar eclipse in Mazatlan, Mexico, Monday, April 8, 2024. (AP Photo/Fernando Llano)

Nach ca. einer Stunde beginnt endlich der Showdown. Die Sonne ist nur noch eine schmale Sichel und es sind nur noch wenige Minuten bis zur totalen Verfinsterung. Mittlerweile ist es nicht mehr so heiß und hell, daß ich Hut und Sonnenbrille abnehmen kann. Dann beginnt das Licht immer fahler zu werden, die Temperatur immer kühler und dann ist sie plötzlich da, die totale Finsternis.

„Tenemos Totalidad!“, ruft begeistern der Mann am Mikro und wir alle rasten total aus vor Freude. Alles wird dunkel und alle und jeder starren gebannt nach oben, um zu erfassen, was da über uns kommt.

Zuerst sehen wir den Diamantring und die Bayley’s Beads, die sich zeigen, wenn das Licht der Sonne noch durch die Ritzen der Krater und Berge des Mondes zu uns vordringt. Dann steht der Mond direkt vor der Sonne und die Corona, die Sonnenatmosphäre, zeigt sich, die man sonst nie direkt sehen kann. Es ist ein magischer Augenblick.

Ich veruche wie ein Irrer, Bilder zu machen und dennoch diesen einzigartigen Moment zu erleben. Um mich herum ooht und aaht es fortwährend und ich kann auch kaum an mich halten, nicht dauernd völlig verzückt Wow und ähnliches zu rufen. Alle haben die Filterbrillen abgenommen und sind beseelt von diesem ewigen Wimpernschlag.

Doch binnen Sekunden sind diese unedlichen 4 Minuten 20 vorüber und der Mikrophonmann ruft auf spanisch „nur noch 15 Sekunden“ und man solle jetzt wieder die Filter anziehen. Ich mache wie manisch noch 1.000 Bilder und setze dann die Brille wieder auf, denn dann grellt die Sonne schon wieder hinter dem Mond hervor.

Plötzlich ist einfach alles wie zuvor, die Helligkeit kehrt zurück und die Wärme ist wieder da. Das Spektakel ist vorüber aber nichts ist mehr gleich. Alle sind glücklich, beseelt vom Erlebnis dieses Naturphänomens. Auch ich. Ich bin zutiefst dankbar und glücklich, daß ich diese wirklich besonderen Augenblicke mit meinem Kind erleben durfte. Etwas wehmütig bin ich nach wie vor, daß mein Großer nicht dabei ist, doch ich hoffe, er wird dieses Schauspiel später auch für sich erleben können.

Hier in Mazatlán geht jetzt die Veranstaltung zu Ende. Das Orchester spielt noch etwas, nebenan interviewt das Fernsehen im Fernsehgarten noch jemanden und im Großen und Ganzen verläuft sich nun langsam die Menschenmenge.

Wir nutzen die Lage des Platzes dazu, fix noch einmal an den Strand zu gehen und ins Wasser zu hüpfen. Schließlich ist Mazatlán ja Touristenstadt und für die Strände bekannt. Der, den wir erwischen ist nah, aber leider etwas steinig im Wasser. Obendrein ist der Pazifik zu dieser Jahreszeit frecherweise überhaupt nicht so warm wie in der Badewanne. Dennoch versuchen wir kurz unser Glück, planschen ein wenig und sammeln ein paar obligatorische Muscheln. Dann greifen wir uns mit viel Mühe ein Taxi und fahren, uns in unserer Unterkunft ausruhen.

Den Rest des Aufenthaltes verbringen wir damit, gemütlich durch die kleine Altstadt zu tingeln und dort in ein empfohlenes, anscheinend ausschließlich von Touristen frequentiertes, Restaurant zu gehen. Dann machen wir uns auf die Rückfahrt nach Mexiko City (19 Stunden Bus), wo wir noch einmal das phänomenale Anthropologische Museum besuchen, bevor es uns zum Flughafen nach Hause treibt.

Die Reise geht zu Ende und wird doch für immer in uns bleiben. Cancún am Kinderstrand, Tulum in den Cenotes, Chichén Itza und Kukulkán, der herabsteigt, Mérida mit Uxmal, dem Mayamuseum und dem Strand Progreso, Palenque mit seinen Ruinas, den kleinen Straßen, den Wasserfällen von Agua Azul und Misol-Ha, Oaxaca mit seinen bunten Wänden, dem Tule-Baum und Monte Albán, Mexiko City mit seiner überraschenden Grünheit, Frida Kahlo und Xochimilco samt Mariachis, die endlosen Busfahrten und die Freundlichkeit der Mexikaner… All dies und viele Dinge mehr haben wir erlebt und tragen sie von nun an in unseren Herzen mit uns.

Danke Mexiko!

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