Wandern gehen II

Nachdem wir also bis zwei Uhr Nachts zweimal fast erfolgversprechend versucht haben, gegen das Spiel zu gewinnen, sind wir dann doch ins Bett gegangen und als wir wieder wach genug sind, um nach Kaffee zu suchen, regnet es. Macht nichts, denken wir und frühstücken uns voran. Daraufhin machen wir uns tagfein und gehen mal vor die Tür. Drinnen hocken können wir auch zu Haus, dafür brauchen wir keinen Ausflug. Mit Regenjacke und Kapuze geht das auch, denn wir wissen ebenfalls, daß wir nicht weit von der Behausung sind.

Direkt vor der Tür befindet sich ein kleines, gut gepflegtes Bushäuschen mit großem Buchtauschregal darin. Wer möchte, kann hier Bücher ausleihen oder ganz mitnehmen sowie eigene Bücher stiften. Das Häuschen findet sofort meine Sympathie, zumal auch ein paar Kuscheltiere auf die Bücher aufpassen. Doch wir haben genügend Lekture und Unterhaltung mit und gehen daher erfreut zurück in den Regen.

Dann laufen wir einmal ums Dorf. Hinterm Haus am Feld entlang, ein paar Schafen hallo sagen, Dorfstraße runter, bergab den munter plätschernden Graben begleiten, dann irgendwo wieder bergauf und zurück zum Haus. Und da wir jetzt schon in Bewegung sind, können wir auch genauso gut mal ins Nachbardorf fahren und nach Postkarten und anderem Ferienzeug kucken.

Auf der Fahrt dahin unterhalten wir uns darüber, daß in den Nachrichten vorwiegend schreckliche Ausnahmefälle präsentiert werden. Nachdem ich Rutger Bregmanns Im Grunde Gut gehört habe, teile ich dessen Meinung, daß dieser Umstand nicht an einer oft postulierten, prinzipiellen Schlechtigkeit der Menschen liegt, sondern an anderen Dingen, wie dem Negativity Bias, also der biologischen Neigung, schlechtes schneller wahrzunehmen (als Steinzeitmensch wäre man sonst viel schneller gefressen worden). Daher verkaufen sich schlechte Nachrichten in den Nachrichten einfach besser, was aber auch dazu führt, daß man glaubt, die Welt werde permanent immer schlechter.

Um uns davon abzulenken, beäugen wir in einem Kunsthandwerkladen dicke Porzellankatzen und allerlei Gartenzwerge. Michael kauft, von der absoluten Notwendigkeit getrieben, lustige Porzellanpilze und ich zwei Postkarten, die nichts mit der Gegend zu tun haben, aber Eichhörnchen sind nun mal so putzig, wer kann daran schon vorbeigehen?! Dann essen wir nebenan in der Sonne Rösti mit Spiegelei und genehmigen uns dazu eine sehr süße Faßbrause. Ein feiner Tag!

Als alles gegessen ist, fahren wir zurück. Der Tag ist schon fast halb vorbei, da lohnt eine große Ausfahrt nicht mehr so, aber etwas Bewegung soll schon noch sein. Also sehen wir nach, was für Routen direkt vom Dorf aus beginnen und gehen, die Wanderstöcke gezückt, noch einmal los. Vom Feldweg von heute früh sieht man schon den Hügel/Berg, auf den es jetzt gehen soll. Auf dem Weg finden wir verschiedentliche Schilder mit historischen Erläuterungen, daß z.B. die Gründer von Papstdorf damals die Wenden von hier vertrieben hätten und Einzelne von ihnen, die sich im Kampf oder Aufbau verdient gemacht hätten z.B. mit einem Erblehen belohnt wurden, also mit Land, das dann vererbt wurde, zu dem aber auch das Vorrecht der Gerichtsbarkeit gehörte. Erbrichter, krasse Vorstellung. Das alles erinntert mich stark an den Nahostkonflikt, da ja dort auch nicht auf der grünen Wiese vor der Stadt besiedelt wurde. Überall leben immer schon andere Menschen. Wenn man die vertreibt, sind die meistens nicht sehr erfreut darüber und man muß mit langen Querelen rechnen.

Wir allerdings vertragen uns vortrefflich und klettern durch den Wald, vorbei an einem Damwildgehege, dann bergauf, dann mal ab vom eigentlichen Weg und um den Fels herum. Das erweist sich als sehr hübsch, wenn auch manchmal als recht unwegsam. Doch der Weg lohnt sich und wir kraxeln an der Stelle vorbei, an der in den 1980er Jahren mal ein Teil Felswand abgebrochen ist, um eine 30 meter breite Schneise in den Wald zu reißen. Oben sehen wir diese Bruchkante sowie noch einige der abgebrochenen Felsen. Puh, da möchte man nichts von abbekommen…

Nach einer Weile finden wir den Weg zum eigentlichen Pfad zurück und begeben uns zur Spitze des Berges, wo uns, wie immer, eine kleine Gastwirtschaft begrüßt, die auch gut besucht ist. Sie ist allerdings so dunkel und mir etwas zu muffig und außerdem hat keiner Hunger, weswegen wir uns bald wieder auf die Socken machen, natürlich nicht, ohne vorher ein paar Lustige Gipfelbilder gemacht zu haben.

Der Abstieg folgt dann eher den vorgetrampelten Pfaden, wobei wir uns bei einem nicht sonderlich sicher sind. Dennoch finden wir den rechten Weg, der uns auch an einer Höhle vorbeiführt, die damals zur Gewinnung von Sandstein gegraben wurde, um daraus Putzsand herzustellen. Stelle mir das komisch vor, das heimische Wahrzeichen abzutragen, zu zermahlen und dann damit die Stube zu fegen. Doch nun sind wir auch rechtschaffen müde und machen uns auf dem Heimweg. Wir haben ja noch was wegzuspielen am Abend. Und obwohl wir „nur mal kurz noch“ eine kleine Runde drehen wollten, sind wir wieder 3-4 Stunden unterwegs gewesen.

Zurück zu Haus, ruht jeder für sich noch ein Weilchen durch die Gegend (Michael telefoniert mit seiner überwiegend kränkelnden Familie, ich lerne Schwedisch). Dann werden Abendbrot und Spiele aufgebaut. Heute sind Ark Nova und Paleo dran. Im ersteren muß jeder versuchen, den besseren Zoo zu bauen, mit Tieren, Zucht- und Auswilderungsprogrammen im zweiteren versucht man gemeinsam den Tag in der Steinzeit zu überleben und im Bestfall zusammen eine Höhlenmalerei zu erschaffen. Beide erfordern allerhand Aufbau und Erklärungen doch darin sind wir schon recht gut geworden. Hauptsache, einer hat sich die Regeln schon mal angesehen.

Doch dies ist auch schon unser letzter Tag, denn tags darauf geht es schon nachts um 7 wieder zurück da Michael gern seiner Familie zur Seite stehen will (prima Papa!) und wir sonst erst um 1.000 Uhr ankämen. Und so packen wir nach unserer letzten Runde alles wieder sorgfältig ein, putzen einmal durch die ganze Bude, legen uns in die Koje und kratzen uns dann morgens früh um 6 aus den Betten. Kaffee rein, Restefrühstück und los, 5 1/2 Stunden Fahrt.

Schön war’s! Das machen wir wieder!

Wandern gehen I

Irgendwann kommt der Zeitpunkt, da gehen Menschen wandern. Wandern, das ist wie spazieren gehen, nur ohne befestigten Weg und da, wo es schön ist. Und damit es nicht nur wie spazieren gehen aussieht, ziehen sich viele dazu besondere Klamotten an, besorgen sich Blechstöcke und laufen mit Vorliebe Berge rauf und runter.

Nun bin also auch ich unter diesen Leuten und ich muß gestehen, daß es mir ganz gut gefällt, wenngleich ich natürlich verschiedenes nicht bieten kann, wie z.B. die Blechstöcke. Feste Schuhe hatte ich noch im Schrank, meine Alltagshose erwies sich durch Zufall als Treckinghose und Wanderstöcke habe ich uns am Wegesrand aufgesammelt und mit der Taschensäge zurechtgekürzt. Ich bin nämlich mit einem Freund unterwegs und so können wir endlich einmal stundenlang schwätzen, ohne daß uns irgendwann der nächste Arbeitsmorgen in die Nachtruhe zwingt.

Wir haben daneben aber noch mehr vor: diverse Brettspiele sind im Gepäck, jedes davon mit dem Potential mehrerer Stunden Beschäftigung. Und wenn nicht gewandert oder gespielt wird, wird gelesen oder gekocht und gegessen. Die Langeweile wird uns sicher nicht heimsuchen.

Doch zuerst geht es los: Freitag freigenommen, Donnerstag früher Schluß gemacht, losgefahren. Es geht ins Elbsandsteingebirge, da bei Dresden, weit, weit weg. Fünf bis sechs Stunden Fahrt und dann bei Nacht ankommen. Dazwischen Musik hören, schwätzen, Proviant artgerecht verringern, an Rasten halten und Kaffeebecher auffüllen lassen, im Zielgebiet noch eine Tanke um zwei Flaschen Bier erleichtern und dann in guter Bettschwere schlafen gehen.

Der Freitag beginnt super. Beide wachen auf und die Sonne scheint. Ist aber noch viel zu früh und so entscheidet jeder für sich, man solle sich besser noch einmal hinlegen, bis die Uhrzeit einem verlängerten Wochenende besser zu Gesicht stehe. Dann aber Frühstück und die Unterkunft bei Lichte betrachten.

Idyllisch ist ein matter Versuch es zu beschreiben. Gelegen mitten im Dorf, gleich neben der Kirche, ist es ein sehr hübsches, altes Pfarrhaus, das zu einer Pension umgebaut wurde. Geschmackvoll und modern saniert und mit diversen schönen, alten Möbeln eingerichtet (sitze gerade am schönen Sekretär mit Bücherregal darin). Direkt an die Küche schließt sich eine große Balkonterrasse mit Blick auf den Kirchturm und nach vorn hinaus sieht man die ruhige Dorfstraße und die befelderten Hügel hinterm Dorf.

Während wir uns noch zum Auswandern bereit machen, kommt die Hausdame und fragt, ob denn alles zum Rechten stünde. Wir so, ja, sehr, tolles Haus und so und fragen gleich nach einer Wanderempfehlung. Sie dann so, ja, gehen Sie doch da und dahin, das ist schön und nicht so überlaufen. Wir so, prima, machen wir. Und dann geht es auch schon los. Werfen den Rucksack und die Kamera ins Auto und begeben uns auf LOS!, was im Polenztal ist. Parken, Rucksack auf, Kamera um und los, rein in den Wald und wandern.

Sehr schön hier! Das hat schon was mit dem Wandern, wenn man für Natur ist. Bin ich ja und von daher paßt es auch so gut. Während man geht, muß man allerdings viel auf den Boden gucken, denn der ist sehr uneben oder mit Wurzeln durchwachsen. Da bleiben wir halt öfter mal stehen, um uns umzusehen, denn auch über Fußhöhe ist die Gegend sehr sehenswert.

Besonders beeindruckend sind dabei immer wieder Bäume, die offensichtlich auf großen Felsbrocken angefangen haben zu wachsen und nun Ihre Wurzeln meterweit nach unten recken, wo dann endlich Erde kommt. Ein weiterer Hingucker für mich: die schiere Menge an verschiedensten Pilzen, die hier so aus Baum und Boden sprießt sowie das puschlige Moos, das überall an den Felsen wächst. Muß es immer wieder anfassen.

Nach einiger Zeit kommen wir dann zum Aufstieg, der sich auf über 900 Stufen hinauf zieht. Immer wieder bleiben wir stehen, kucken zurück auf die Waldlandschaft hinter uns und freuen uns über diesen Ausflug. Die Freude am im-Wald-Rumlaufen scheint auch eine alte Sache zu sein, denn beim Aufstieg finden wir alte Einkerbungen von Jahreszahlen im Sandstein, von denen die älteste 1751 ist. Wer damals wohl seinen Schreibmeißel da am Berg gewetzt hat. Wenn man das macht, denkt man doch immer: Mann, kannste doch kein Datum von heute hinkratzen, ist doch voll peinlich und gar nicht alt… Muß man halt echt lang warten, bis das was hermacht.

Irgendwann kommen wir oben an und entdecken, daß man da auch mit dem Auto hinkommt. Na, wollten wir ja auch nicht, ist aber schon witzig. Wir setzen uns in das dortige Resto und essen erst einmal was, denn es fängt kunstgerecht gerade an, etwas zu regnen. Essen gut, alle zufrieden, weiter.

Nun geht’s wieder bergab durch den Wald. Mehr Pilze, mehr Bäume, mehr Felsen. Sehr schön! Wirklich! Und kaum andere Menschen. Nur ein schwarzes Eichhörnchen ergänzt die Szenerie. Unten angekommen, plätschert die Polenz an der alten Mühle vorbei in Richtung Elbe. Wir folgen Ihr, denn sie weiß, wo das Auto steht. Der Weg führt vorbei an einem Gebiet, daß kürzlich besägt wurde und wo jemand einen Baumstumpf zu einem kleinen Thron behauen hat. Wir natürlich sofort drauf, Einer nach dem Anderen. Sitzt sich gut und mit feiner Aussicht.

Doch nun wirklich zurück. Auto gefunden, eingestiegen, einkaufen fahren. Der sich nun ankündigende Abend sieht uns Chili kochen, lesen, schreiben und dann das erste Spiel bestreiten: Frost Punk. Große Spannung, doch dazu morgen mehr.