Einen Tag dranhängen

Ich hatte ja bislang noch so gar keine Erfahrung mit Geschäftsreisen, da ich nie in einer Position gearbeitet habe, wo sich sowas ergeben hätte. Aber jetzt! Und wie alle vor mir, mache auch ich dieselbe Erfahrung, daß die meiste Zeit bei einer zweckgebundenen Reise mit dem Zweck ausgefüllt wird. Sprich, Seminar dauert den ganzen Tag, biste abends auch platt und kommst zu nix mehr. Dem habe ich mich ja ein klein wenig entgegengestemmt, aber so im Großen und Ganzen war es natürlich keine Klassenreise mit viel Stadt ankucken. Daher habe ich mir gedacht, ein Tag mehr kostet nicht die Welt und macht einen großen Unterschied in Weltläufigkeit.

Jetzt ist es also soweit. Habe mir nen Wecker gestellt, den ich aber bei Bemerken gleich wieder ausmache. Soll ja ein entspannter Tag werden. Die liebe Tanja von der HSG hat mir gestern noch einen Plan gebastelt, was ich ankucken soll und wo ich ein bißchen wandern kann, wozu ich sie auch gern mitgenommen hätte, war aber schon verabredet. Sehr schade! Nun werde ich also den Plan allein abarbeiten. Dazu lasse ich mal schön alles Zeug auf dem Zimmer liegen, sogar Biggie, meine Kamera, denn, auch wenn ich sie heiß und innig liebe, ist sie doch etwas sperrig und schwer. Also nur Handyfotos, muß reichen. Aber es geht beim Entdecken wenig über travelling light.

Also aufstehen, duschen, Kaffee rein und los. Als erstes in die Stiftsbibliothek (Unesco Weltkulturerbe!), denke ich mir, obwohl das Licht und das Wetter so herrlich sind, aber nachher ist die sicher randvoll mit Menschen. Dort angekommen sagt mir aber die freundliche Stiftsbibliothekseintrittskartenfachverkäuferin, daß um 13°° Uhr in der Bib eine öffentliche Führung stattfinde. Ich so, oh cool! Bis dahin sind ja auch noch fast drei Stunden Zeit und für die Strecke, die ich oben auf dem Hügel wandern will, brauche man gerade mal ne Stunde, sagt sie. Ich so, denn, dann komme ich halt nachher wieder. Sie so, klaro, viel Spaß. Drum gehe ich jetzt die 100 Meter zur Mühleggbahn, einer niedlichen Seilbahn, die tunnelig am Berg hochgezogen wird, vorbei an Graffitti und gehängten Bildern im Dunkeln. Oben angekommen, drehe ich eine kurze Runde ums Haus und bin schon auf der angeratenen Strecke.

Hübsch! Und bei dem Wetter, also bitte! So hübsch! Gehe an Wiese vorbei, kucke durch ein kostenloses Fernrohr (Freude!), laufe weiter, lasse mich albern durch ein Touridurchkuckwappendings fotografieren, weil es Spaß macht, bis rechts die Weihern kommen. Wir Norddeutschen würden die wohl Teiche nennen, aber die von hier halt nicht. Obendrein sind die zum Baden gedacht, wofür dort lustige Holzhäuschen stehen, in denen man sich z.B. umziehen kann. Eins davon wurde wohl noch fix von Christo eingepackt, wie damals der Reichstag oder es ist gerade im Umbau. Und dann steht etwas derart entzückendes am Wegesrand, daß ich mich gar nicht einkriege: Ein Stein mit einer Plakette zur Schillerlinde „gepflanzt von der dankbaren Jugend am 9. Mai 1905“. Also bitte! Die dankbare Jugend! Geht doch! Ich bin ganz bezuckert. Und dann fängt noch irendwo einer an Horn zu spielen! Echt jetzt!! Ich werde gleich irre, vor so viel Idyll.

Weiter geht’s des Weges, vorbei am hölzernen Saunahaus, vorbei am Miles for Peace-Schild eines UN-Läufers und einem sowas von akkurat aufgestapletem Haufen Schnittholzes. Das muß man ja den Schweizern lassen. Ordnung, das können die!

Dann aber sticht mich der Hafer und ich weiche vom vorgeschlagenen Weg ab, um einfach den Hügel raufzugehen. Pah, denke ich, ich bin Herr meiner Entscheidungen und wenn es mir gutdünkt, gehe ich da jetzt einfach hoch. Ich da also hoch, freue mich über die Welt, über Wald, Wasser und Blaumeisen. Sammle zwei ortstypische Steinchen auf, denn etwas möchte der Mensch mit nach Hause bringen. Haben auch so schöne weiße Adern. Bald aber merke ich, daß der Weg gar nicht wieder links abknickt, weshalb ich, voll Herr meiner Entscheidungen, einfach über die Weise nach unten gehe. Dort höre ich eine Kuhglocke und denke, Alter, geht etwa noch mehr Schweizcliché?? Naja, ich dem also nach und treffe puschlige Kühe an, die auch noch zutraulich sind und sich streicheln lassen. Fehlt nur noch Heidi, die kommt aber zum Glück nicht auch noch den Hügel heruntergetanzt.

Weiter geht’s: Das Kloster umrunden, aus dem Automaten für einen Franken und fünfzig Rappen eine süße Kleinigkeit ziehen (denn ein 2-Frankenstück habe ich gerade), dann den Weg zurück am Wald gehen, beim Milchhüsli für 10 Franken einen Kaffee und ein großes Stück Kuchen schnappen und dann, schon leicht getrieben, wieder zur Seilbahn zurück und runter, Richtung Stiftsbibliothek. Beim Runterfahren, versuche ich ein niedliches Katzenbild zu knipsen, was im Tunnel hängt, vergeige es aber. Muß ich wohl nochmal fahren, später.

Dann rein ins Unesco Welterbe. Ich zeige mein Billettchen vor und gehe zum Eingang. Dort wird gerade allen Menschen das Arsenal an Filzpantoffeln gewiesen. Ich, schwupp, welche über und rein da. Ich steh ja total auf sowas: Sammlungen von Wissen. Wie super ist das, wenn man einfach alles Wissen der Welt, das man kriegen kann, auf einen Haufen bringt, um daraus etwas zu machen, damit es mit der Menschheit mal vorwärts geht. Und da drinnen steht wirklich der heiße Scheiß seiner Zeit. Ein riesiger Globus (heute nur die Replik, nachdem im Krieg gegen Zürich 1512-18 das Original geklaut wurde) und allerlei Exponate aus einem Fundus von über 30.000 Büchern und die aus Zeiten seit dem 9.Jhd., inklusive dem ersten, allerdings nicht realisierten, Bauplan des Klosters von ~800 AD. Das ist schon toll! Also, das war zu deren Zeit nicht nur toll, das war irre! Witzigerweise finden sich darunter dann auch mal Krickeleien von Mönchen, die auch mal ihren Spaß haben wollten.

Und dann passiert das, was einem in dieser Stadt anscheinend permanent passiert: ich treffe eine Bekannte. Na, wir haben uns vor zwei Tagen in der Lounge des WBZ kennengelernt und nun laufen wir uns gleich wieder über den Weg und diesmal ist ihr Sohn aus Brasilien auch dabei. Also beschließen wir zusammen weiterzulaufen und Sachen anzukucken. Leider reicht das nur bis zur Kathedrale nebenan, da die beiden etwas essen gehen wollen, ich dann aber die Führung durchs Stadtparlament verpassen würde. Also verabschieden wir einander herzlich und gehen dann weiter unserer Wege. Mich führt das direktemang in die „Neue Pfalz“, sprich, das Regierungshaus des Kantons St. Gallen. Dort erklärt man uns allerlei Räume und Dinge und wir dürfen sogar in den Parlamentssaal und auf allen Stühlen sitzen. Machen wir natürlich auch und knipsen noch Bilder

Nach der Führung, es ist mittlerweile vier Uhr, ist es an der Zeit, endlich die Postkarten zu schreiben. Dafür suche ich mir ein Café in der Nähe und bestelle Cappuccino. In der Bibliothek habe ich noch eine Postkarte dazu gekauft, womit ich jetzt ausreichen Karten für die Briefmarken habe. Wie üblich fehlen mir zwei Postleitzahlen, die ich aber im Zimmer nachtragen will, bevor ich die Karten einwerfe. Natürlich vergesse ich diesen Vorsatz sofort wieder und werfe alle Karten direkt in den nächsten Postkasten, eine sogar – rollt die Augen – ohne Hausnummer. Das kriegt die Deutsche Post doch wieder nicht ausgebügelt, meine Unfähigkeit. 10,-€ in den Sand gesetzt, denn Karte und Marke kosten beide 2 Maak und dann ist der Franken ja noch mehr wert. Je nun, vielleicht lerne ich ja mal was daraus.

Jetzt ist es ca. 17.00 Uhr. Immer noch drei Stunden bis zum Zug. Also noch einmal mit der Seilbahn hoch, denn ich muß ja noch das Katzenbild… Diesmal Video und diesmal klappt es (kreige das hier nur gerade nicht raufgeladen, vielleicht später von zu Haus). Und dann wandere ich einfach den Weg wieder runter, durch die Mühlenenschlucht (wird nicht geräumt und gestreut, sagt das Schild). Danach verlaufe ich mich ein bißchen, finde den Weg aber schnell wieder und gehe dann auf mein Zimmer und packe den Rest ein. und schwätze noch etwas mit Felix und seiner Frau.

Dann mache ich mich auf den Weg, noch mit Felix‘ Worten im Ohr, ich solle auf die binäre Uhr am Bahnhof achten. Ich so, hä? Er so, wirste schon sehen. Hat er Recht. Komme zum Bahnhof, sehe Binäruhr, die total cool ist. Muß man naürlich Binärcode verstehen. Verstehen tu ich’s, lesen kann ich’s trotzdem nicht. Aber cool 🙂 Dann rein in den Bahnhof. Zug kommt irgendwann, einsteigen und auf nach Haus. Am besten jetzt noch alles laden und schreiben, denn wer weiß, ob es in der Deutschen Bahn alles klappt.

Doch es klappt besser als befürchtet. Nur ist der ICE von München (Abfahrt 0:01 Uhr) kein Liege-, Schlaf- oder Zurücklehnwagen. Dann schreibe ich eben länger. Mal sehen, wie lange ich durchhalte, sind ja alles zusammen nur 13 Stunden Fahrt, hahaha.

Bis dahin erst einmal gute Nacht.

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